Der AfD-Politiker Björn Höcke schimpft gegen Kapitalisten, die eine „globale Einheitszivilisation“ schaffen wollen, die alle Unterschiede der Nationen wegwischt – und nur noch dem Konsum dient.

Wobei „Kapitalist“ ein Dogwhistle für „Jude“ ist. Mit Kapitalisten hat die AfD kein Problem

Das erinnert an den Unsinn der Achtundsechziger.

„Du sagst das du gegen Kapitalisten bist, also bist du wie Höcke“

Finde ich nicht gut, wie die Welt hier jeden Nazi nennt

Es kostet Überwindung, aber gelegentlich lese ich, was Björn Höcke, Chef der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, von sich gibt.

Mein aufrichtiges Beileid an der Stelle

Überwinden muss ich mich nicht deshalb, weil Höcke gegen die angeblichen Weltbeherrschungspläne der USA und der Kapitalisten, besonders des jüdischen Finanziers George Soros, wettert und dafür die Verwandtschaft der russischen mit der deutschen Seele und das russische Erdgas als Rettung vor grüner Deindustrialisierung im Dienst der Globalisten lobt, kurzum Meinungen vertritt, die ich nicht teile.

„Meinungen“

Bitte, soll er.

Bitte, soll er nicht.

Überwinden muss ich mich, weil Höckes Gezeter gegen die angebliche „Dekadenz“ unserer Gesellschaft so – wie würde meine Kollegin Anna Schneider sagen? – fad ist.

Finde auch, dass der langweilig ist. So eine gute alte Weimarer Brandrede knallt da schon besser

Höcke etwa am 3. Oktober 2022 in Gera: Das Kapital wolle eine „globale Einheitszivilisation“ schaffen, die aus einer „gesichtslosen Masse von perfekt durchmaterialisierten Konsumfaschisten“ bestehe und zum „raschen Kollaps unseres Wohlstandes“, zum „unwiederbringlichen Versinken in tödliche Dekadenz“ führen müsse.

Übrigens 3 rechte Talkingpoints in 2 Sätzen:

  1. Die aktuelle Welt/Gesellschaft ist „degeneriert“
  2. Ominöse Mächte wollen eine „Einheitszivilisation. Entweder Dogwhistle für kommunistische Elite, jüdische Elite oder kommunistisch-jüdische Elite.
  3. Oberflächliche Konsumkritik
  4. „Spätrömische Dekadenz“. DE/der Westen ist angeblich ein „Imperium“, dass wegen seiner moralischen Verkommenheit untergeht. Laut Faschisten ist die einzige Lösung diesen Untergang des Abendlandes zu verhindern die „degenerierten“ „Teile des Volkskörpers“ zu „entfernen“.

Ich sehe über den semantischen Unsinn des „unwiederbringlichen Versinkens“ hinweg, den der Lehrer Höcke in einem Schüleraufsatz rot angestrichen hätte (er meint wohl „unaufhaltsam“ oder „endgültig“).

Verräterisch ist das Wort „Konsumfaschisten“.

oh gott. kriegen wir jetzt einen „die Nazis waren links“-take in der Welt

Das Kompositum bedeutet zwar nichts, erinnert aber an den „Konsumterror“, den die 68er erfanden:

  1. Die 69er haben das Wort „Konsumterror“ nicht erfunden, sondern nur benutzt
  2. Der Konsumterror bzw. das was die 68er als Konsumterror bezeichnen war schon vor den 68er da. Sie haben ihn also faktisch nicht erfunden.

Dadurch würden die Bürger davon abgehalten, gegen die Konzerne und den US-Imperialismus zu kämpfen.

Aber dann erklär uns doch, was mit „Konsumterror“ gemeint ist und warum die Idee schlecht ist. Einfach nur zu sagen „das macht Höcke auch“ ist mir zu billig.

Rudi Dutschke und Björn Höcke – Brüder im Geist der Verachtung jener Leute, die gern Sachen kaufen, die das Leben schöner machen.

Idee des „Konsumterrors“ mutmaßlich absichtlich falsch verstanden.

Der Begriff „Konsumterror“ bezeichnete bei den 68ern die Vorstellung ein Mensch sei durch den Konsum von Luxusgütern mehr wert.

Die 68er argumentierten so:

Werbung, … stellt unnötigen Luxus als erstrebenswert dar -> Luxusgüter sind Statussymbole -> durch Mangel an Statussymbolen werden Menschen mit weniger Geld sichtbar -> Potenzielle Ausgrenzung, der „Terror“

Sie haben also das vorhergesagt und kritisiert, was heute auf vielen Schulhöfen passiert.

Es ging nie darum Menschen zu verurteilen, die sich teure Sachen kaufen, sondern zu hinterfragen ob ein T-Shirt wirklich das doppelte wert ist nur weil da „Balenciaga“ draus steht.

Wenn man das erklären würde, würden die bösen linken 68er aber ja vernünftig rüberkommen. Und sowas kann die Welt natürlich nicht machen.

Der Hedonismus als „tödliche Dekadenz“.

Haben die 68er nie vertreten.

Fad ist das vor allem, weil es so alt ist. Beginnend mit Moses gegen die Ägypter haben Spaßverderber aller Couleur gegen die angebliche Dekadenz gewettert. Augustinus gegen das heidnische, Luther gegen das christliche Rom. Spengler gegen den Westen, Thomas Mann gegen Frankreich. Die Nazis gegen Weimar.

Soweit richtig. Rechte machen das andauernd.

Die Kommunisten gegen Amerika.

Halt stopp. Was Kommunisten an Amerika kritisieren ist nicht eine angebliche Dekadenz der Gesellschaft als Ganzes, sondern eine Dekadenz der oberen 0,1%, während der Großteil der Amerikaner leidet.

Und natürlich immer alle gegen die Juden.

Auf die Brücke zum Antisemitismus bin ich gespannt

Ja, auch Moses, der die Neigung des von ihm ausgewählten Volkes, sich nach den Fleischtöpfen Ägyptens zu sehnen und um ein goldenes Kalb zu tanzen, überhaupt nicht goutieren konnte und ihm 40 Jahre Wanderung durch die Wüste verschrieb, um den Leuten die Dekadenz auszutreiben.

Moses, der die Israeliten aus der Sklaverei geführt haben soll, war Antisemit?

Meine Sympathien liegen jedenfalls bei den angeblich Dekadenten.

Immerhin sagt er offen, dass er für dekadente Reiche schreibt

Ich habe als Kader der KPD Anti-Dekadenz gelebt, eiserne Disziplin, eingeschränkter Konsum, keine Drogen, wenig Alkohol, kurze Haare, deutsche Volkslieder, Frühsport.

Okay? Und jetzt? Abgesehen davon: was haben kurze Haare und deutsche Volkslieder mit Anti-Dekadenz zu tun?

Und warum macht es dich zu einem Experten im Bereich der Politikwissenschaft und Geschichte, wenn du freiwillig Sport machst und kaum Drogen nimmst?

An uns hätte Höcke seine Freude gehabt.

Das kann man auch so interpretieren, dass er ein Querfrontler in der KPD war, der mit Höcke kooperiert hätte.

Nur hatte ich selbst wenig Freude daran, wie die Israeliten in der Wüste.

Warum hast du es dann gemacht? Wurdest du gezwungen?

Meine Wanderung war allerdings nach fünf Jahren zu Ende. Nie wieder! Her mit den Fleischtöpfen!

Und was soll uns das sagen, außer das du fünf Jahre gebraucht hast, um zu verstehen das dieses Leben nichts für dich ist?

Das Merkwürdige ist: Höcke wettert gegen eine „Einheitszivilisation“. Dabei gleichen sich die Dekadenzkritiker aller Länder und Zeitalter, Linke und Rechte, Propheten, Zeloten, Inquisitoren und Islamisten.

Nein, sie gleichen sich nicht.

Linke: „Wir finden es doof, dass durch die Globalisierung der Einfluss Amerikas steigt und Kulturen aussterben.“

Rechte: „Die Juden/Kommunisten wollen die naturgegebenen Unterschieder der Rassen/Völker/Nationen auslöschen und uns unsere Individualität nehmen! Reiht euch ein in die braune Einheitsfront!“

Alle anderen genannten: Die Deutschen/Christen/Muslime sind alle gleich und unfähig das Licht der Wahrheit zu erkennen! Nur wir sind die Auserwählten, die die Wahrheit sehen!“

Individualisten findet man nur auf Seiten der Zivilisation und des Hedonismus, von Epikur bis Oscar Wilde.

Es gibt buchstäblich eine Art des Anarchismus, die „Individualanarchismus“ heißt

https://de.wikipedia.org/wiki/Individualistischer_Anarchismus

Abgesehen davon war Oscar Wilde Sozialist, lol.

Die schreiben auch besser als Höcke.

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