[…] »Wenn etwas nach Moral aussieht, aber nur dem Statusspiel dient, handelt es sich um ein Moralspektakel«, schreibt Hübl – und streut damit Salz in die offenen Wunden unserer digitalen Mediengesellschaft. Denn die eigene moralische Integrität und Gesinnung nach außen zu kehren, ist gerade in der Onlinekommunikation nicht nur billig zu haben, es ist auch ein formidables Mittel, um Zuspruch zu generieren und missliebige Ansichten aus der Diskursarena auszugrenzen. […]

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    1 month ago

    Wieso “dumme Diskussionen über unwichtige Themen”? Und nein, wenn jemand wie dieser Autor schon vom vornherein solche Standpunkte vertritt, die eben Diskriminierung und das Leid von marginalisierten Menschen relativieren und nicht ernst nehmen, warum soll ich dann überhaupt diskutieren?

    Was der Autor hier bedient ist die althergebrachte Strategie, die eigenen Privilegien zu nutzen, um den eigenen Standpunkt als neutral und rational darzustellen. Dabei übersieht dies aber all die Ungerechtigkeiten und logischen Fehlschüsse, die für dieses Weltbild nötig sind. Die Dominanz dieser Dominanzgesellschaft besteht eben daraus, viele Menschen von ihr auszuschließen und zu diskriminieren. “Alte weiße Männer” zu diskriminieren ist daher total widersinnig, weil sie eben von dieser Gesellschaft strukturell an allen Ecken bevorteilt werden. Nur sich das einzugestehen fällt ihnen offenbar schwer, deshalb jammern die so rum. So wie dieser Autor…

    Und nein, konträr zu dem vom Buch gezeichneten Bild, dass viele Menschen vor allem Moral als Statussymbol nutzen, ist es mir sehr ernst damit. Aber der Diskurs ist schon seit Jahrzehnten an Menschen wie diesem Autor vorbeigegangen und das ist wahrscheinlich das größere Problem der Linken, dass die Fortschritte nur sehr langsam in die Dominanzgesellschaft durchsickern.

    Der Artikel bringt es zum Schluss gut auf den Punkt:

    Man kann das Moralisieren um der Sache willen nicht klar vom demonstrativen, »selbstwertdienlichen« Zweck trennen. Besser gesagt, man muss, wenn man es versucht, eben in Kauf nehmen, anderen Menschen ihre Wut, Angst oder Verletztheit nicht abzukaufen, ihre Gefühle zu relativieren und sie damit vor den Kopf zu stoßen.

    Mir geht es darum, von dieser scheiß Gesellschaft nicht weiter diskriminiert zu werden. Mir geht es darum, dass ich und all die anderen marginalisierten Menschen hier sicher leben können. Das geht im Moment nicht. Ich habe große Angst, dass bald die AfD an die Macht kommt. Wenns hart auf hart kommt, muss ich dann vielleicht aus Deutschland raus. Und dann kommt da so ein Philip daher, der die größere Gefahr darin sieht, wenn sich Leute beim Versuch die Welt ein bisschen besser zu machen, zu sehr damit schmücken. Natürlich ist das ultra nervig, wenn Leute nur aus normativen Gründen woke und cool sein wollen. Aber hey, auch viele Leute sind aus Trendgründen vegan und das hilft auch, die Welt mehr zu einer tierleidreduzierten zu machen.

    Wenn ne Person ankommen würde, die Themen wie Marginalisierung und Diskriminierung ernst nimmt und dann darin über die Probleme von Selbstbeweihräucherung spricht, super, ich wär dabei. Aber diesem Philosophen mit seinen falschen Neutralität kauf ich das nicht ab. Ihm geht es darum, den Status quo zu rechtfertigen und so beizubehalten…

    • ormr@lemm.ee
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      1 month ago

      “Dumme Diskussionen über unwichtige Themen”: Thema gendern. Ja natürlich wird das auch stark von rechts überhöht und instrumentalisiert, aber parallel oder in Reaktion darauf gibt es natürlich auch auf der anderen Seite Glaubenskämpfer bei dieser Thematik. Ja, es gibt Uni-Seminare da musst du gendern. Nichts mit demokratischer Abstimmung darüber oder liberal sagen: Halte es damit wie du willst. Ist das schlimm? Nein, aber die ganze Debatte darüber ist sinnlos. Ich könnte mir kein unwichtigeres Thema vorstellen während nebenbei der Planet in Flammen aufgeht. Noch besser finde ich ja die Leute auf Lemmy, die darüber debattieren, welche Art des entgenderns denn nun die beste sei, lol. Und dieses Thema steht für mich stellvertretend für ganz viele sinnlose Debatten.

      Was Diskriminierung & Privilegien angeht muss ich einfach sagen, dass die Realität einfach nie so schwarz-weiß ist wie von dir dargestellt. Bleiben wir doch mal beim “alten weißen Mann”. Wenn er also wirklich alt ist, ist er dann nicht von der existierenden Altersdiskriminierung betroffen? Klar ist er das. Und als Mann… Sind es nicht v.a. Männer die in den letzten Jahren ihr Leben lassen in den ukrainischen Schützengräben für einen sinnlosen Krieg? Wo sind die Privilegien also? Oder meinst du in Wahrheit mit den privilegierten alten weißen Männern eher jene mit Macht durch Einfluss oder Geld? Dann ist ihr Geschlecht aber nicht relevant, sondern der sozioökonomische Status.

      Es ist immer kontextabhängig inwiefern man privilegiert oder diskriminiert ist. Viele Menschen können beides zur gleichen Zeit sein. Also benötigt man für dein mMn einseitiges Weltbild sicher genau so viel Akzeptanz von Ungerechtigkeiten & logischen Fehlschlüssen.

      Es ist vollkommen in Ordnung so ein Buch zu schreiben, ob man nun Richard, Philipp oder sonst wie heißt. Du musst darüber überhaupt nicht diskutieren, niemand zwingt dich, dich damit zu beschäftigen. Aber was du stattdessen machst, ist erstmal einen Kübel Abneigung & Vorurteile darüber auszugießen. Ich finde das muss nicht sein.

      • flora_explora@beehaw.org
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        1 month ago

        Hm, also zuerst einmal ist das gendern als Thema ja viel komplexer als von dir dargestellt. Vorherrschend ist ja ein überhaupt nicht neutrales, sondern hegemonial männliches gendern, nämlich das generische Maskulinum. Was Sexismus und verzerrte Bilder auf Geschlechtsidentität mit Menschen machen, zeigen etliche Studien. Wissenschaftlich sind wir also schon soweit, dass wir ziemlich sicher sagen können, dass eine hegemoniale Sprache Menschen schadet und diskriminiert. Vielleicht fühlt sich das für dich nicht wichtig an, wenn du davon nicht betroffen bist. Aber der aktuelle Stand unserer Sprache ist dennoch diskriminierend.

        Und natürlich können wir gleichzeitig noch am Klimawandel und anderen Problemen arbeiten. Was meinst du, was linke Menschen den ganzen Tag über machen? Nur übers gendern nachdenken? Seit über nem Jahrzehnt ist ein entscheidendes Schlagwort in verschiedensten emanzipatorischen Bewegungen eben der Intersektionalismus. Und das kommt nicht von irgendwoher. Es gibt also genug Menschen, die sich um viele verschiedene Probleme Gedanken machen. Und dann kommen halt Menschen aus der Mainstream-Gesellschaft noch nicht mal aufs gendern klar, dass in feministischen Kreisen einfach schon ein gegessenes Thema ist. Keine sorge, meine friends und ich diskutieren gar nicht mehr über dieses “unwichtige” Thema. Wir haben es einfach schon umgesetzt und kümmern uns um “wichtigeres”. Deine Darstellung ist dabei wohl nichts weiter als ein Strohmann-Argument…

        Dass Männer unter dem Patriarchat leiden, ist überhaupt nicht widersprüchlich und wird von Feminist:innen seit Jahrzehnten diskutiert. Aber leider sind da cis Männer noch nicht drauf angesprungen, weil ein Verlust ihrer männlichen Privilegien und Männlichkeit überhaupt noch schlimmer erscheint. Offensichtlich ist es scheiße für all die Männer, die an die Front müssen (noch schlimmer für all die anderen Menschen, die männlich im Pass stehen haben, sich aber nicht so identifizieren). Aber wer hält denn dieses Patriarchat am laufen? Und wer sorgt dafür, dass FLINTAs sich nachts nicht sicher fühlen, schlechter bezahlt werden, zur unbezahlten Sorge-/Pflegearbeit gezwungen werden? Deinem Kommentar nach zu schließen, verweigerst du dich ja aber überhaupt der Idee der geschlechtsbasierten Diskriminierung. Vielleicht müsstest du da mal ansetzen, aber dafür hab ich jetzt auch keine Energie, noch mehr unbezahlte Bildungsarbeit zu leisten.

        Und klar, ich müsste nichts zu dem Thema schreiben. Aber wenn die AfD oder sonst wer reaktionäres irgendeinen Mist veröffentlicht, sag ich ja auch öfters was dagegen. Eben weil ich Angst vor dem Kippen des gesellschaftlichen Klimas habe. Ich will meine Existenz nicht geleugnet sehen und ich will auch nicht im alltäglichen Leben ständig diskriminiert werden. Und wenn so Leute wieder so ein Buch schreiben, dass dieser ganze Feminismus, Klimaktivismus etc ja voll übertrieben seien, dann hab ich Angst, dass sich eben Leute wie du darauf ausruhen und eben nichts ändern. Bücher wie dieses sind die Absolution für den Mainstream, sich weiter so scheiße gegenüber Minderheiten zu verhalten.

        • ormr@lemm.ee
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          1 month ago

          Ich gendere auch regelmäßig, in Sprache & Schrift. Es gibt aber mMn keine Alternative dazu das jedem Menschen selbst zu überlassen. Mag ja sein dass eine als ungerecht empfundene Sprache Menschen schadet (einzelne Studien machen noch keine unumstößlichen Fakten), aber sie wird sich einfach nur langsam ändern. Und deshalb halte ich auch ein Nachdenken darüber welches entgendern nun das beste sei für lächerlich, weil es an jeglicher Realität vorbei geht.

          Was mich stört an all deinen Beiträgen (und da ist ja viel richtiges dabei) sind diese unsäglichen Pauschalisierungen: “da sind cis Männer noch nicht drauf angesprungen”, “das fällt [den Männern] schwer, deshalb jammern die so rum”, etc. pp.

          Sorry, ich kann zwar die Frustration der solche Bemerkungen entspringen nachvollziehen, das macht es aber nicht besser oder akzeptabler. Sondern es ist mMn nichts weiter als ein den-Spieß-umdrehen und eben schlechte Diskurse befeuern. Und sowas wird immer ein Bärendienst sein für Gleichberechtigung und Freiheit.

          • flora_explora@beehaw.org
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            1 month ago

            In der deutschen Sprache gendern sicherlich >99% der Menschen ständig. Und zwar der Großteil im generischen maskulinum. Und was willst du mehr, als dass die Wissenschaft sagt, dass es Menschen schadet und sie benachteiligt? So eine Umsetzung von Regeln ist natürlich immer eine Frage des Nutzens gegen den Schaden aufgerechnet. Kennen wir ja von der Maskenpflicht oder von klimaschonenden Maßnahmen. Nur, was Menschen zuzumuten ist, kann auch umgesetzt werden. Sprache ein wenig anzupassen ist wirklich ziemlich leicht, wenn man es nur probiert. Und selbst dann, wo sind die Menschen, die dich dafür bestrafen, wenn du nicht gendergerechte Sprache verwendest? Richtig, nirgendwo. Denn das ganze ist ein von rechts aufgeblasenes Aufregethema, um Menschen zu fangen. Und mitunter ist ja jetzt gendergerechte Sprache in einigen Bundesländern verboten. Aber zeig mir mal, wo das Menschen massenweise aufgezwungen wird. Im Behörden vielleicht, wo ja aber die Behördensprache angepasst wird, nicht die private Sprache der dort arbeitenden. Und wenn du in ner Behörde arbeitest, musst du dich ja eh zig tausenden sprachlichen Regeln unterwerfen.

            Ja, sorry für die Pauschalisierungen. Ich bin sicherlich nicht die geeignete Person für so eine Diskussion, ich bin tatsächlich sehr genervt, verletzt und wütend. Denn ich krieg die Diskriminierung am Ende halt tagtäglich ab, über die wir hier gerade theoretisch sprechen. Und das kostet so viel Energie, da ist es schwer, anderen, die sich mit diesen Themen nicht auskennen, das geduldig beizubringen.

            Und ich halte aber weiterhin an diesen “Pauschalisierungen” fest. Denn was ist es denn sonst, was wir beobachten? Cis Männer sind höchst unzufrieden heutzutage, weil klassische Männlichkeitsbilder in der Krise sind und bei Frauen (und anderen Geschlechtern) nicht mehr so gut ankommen. Also werden Männer haufenweise incels oder versuchen anderweitig, ihre Männlichkeit zu retten. Und nur die wenigsten kommen auf die Idee, ihre Männlichkeit kritisch zu reflektieren und möglichst ganz abzulegen. Selbst in linken Kreisen gibt es so viele Macker, es ist echt frustrierend. Es gibt auch Studien dazu, dass in “emanzipierten”, linken Heteropaaren die Männer viel weniger Sorge- und Reproduktionsarbeit leisten, als ihre Partnerinnen. Wenn dann die Partnerin auch noch einen Job hat, dann hat sie am ende sogar mehr Arbeit zu erledigen als Frauen nach traditionellem Bild. Und genau da kommen wir hin, wenn wir nicht cis Männer scharf für ihr Verhalten und ihre Trägheit kritisieren. Dann können sie sich in der Vorstellung ausruhen, ja schon feministisch zu sein.

            Eigentlich genau das, worum es in dem Buch auch hätte gehen können. Die eigene Doppelmoral. Sich selbst als feministisch wahrnehmen, aber dann doch die Frau lieber putzen und auf die Kinder aufpassen lassen. Tiere töten schlecht finden, aber trotzdem Fleisch essen. Klima retten wollen, aber die Klimakleber nerven dann doch. Zu viele Menschen ruhen sich in diesem vermeintlich normalen, neutralen Zustand aus. So wie dieser Autor, der auch eine große Doppelmoral lebt. Zwar Menschen kritisieren, die angeblich nur wegen sozialen Status ethische Schritte fordern, aber selber den unmoralischen Status quo nutzen, um sich als kluger Philosoph über die Debatte zu stellen.